Waldbegeistert

 

Die Gruppe „Wald mit Zukunft“ des Klima-Treffs hat den hessischen Förster Gerald Klamer an der Storcker Hütte getroffen, um über Waldschutz in Zeiten des Klimawandels zu sprechen. Der leidenschaftliche Wildnis-Wanderer ist im Februar unter einigem Medienecho von Marburg aus zu einer 6000 Kilometer langen Waldbegeisterungs-Wanderung durch Deutschland aufgebrochen und hat für dieses Projekt seine 25-jährige Tätigkeit als Forstbeamter in Hessen aufgegeben. Bis Mitte November will er fast non-stop nur mit Tarp, alter Isomatte, solarbetriebenem Laptop und App unterwegs sein. Für diese acht Monate hat er rund 60 Treffen mit naturnah wirtschaftenden Forstbetrieben, Wissenschaftlern, Bürgerinitiativen und im Waldschutz engagierten Einzelpersonen eingeplant. Auf dem Weg zwischen Siegen und Siebengebirge durchquerte er am 7. März das Eitorfer Gemeindegebiet.

 

 

 

 

Interview mit Gerald Klamer über sein Waldbegeisterungs-Projekt, 7.3.2021 (Langfassung)

 

 

Klima-Treff (KT): Herr Klamer, was sind die Gründe für das augenfällige Fichtensterben?

 

Gerald Klamer (GK): Ursache des Fichtensterbens ist sicher die zunehmende Hitze und Trockenheit aufgrund des Klimawandels, denn die Fichte liebt es feucht und kühl, der Borkenkäfer aber trocken und warm. Bei den Sommern der letzten drei Jahre ist klar, wer im Vorteil ist. Aber es kommen hausgemachte Gründe für das Fichtensterben dazu: Denn der Borkenkäfer konnte sich nur so massiv ausbreiten, weil Fichten-Monokulturen gepflanzt wurden.

 

 

 

KT: Dürren haben den Fichten derart zugesetzt, dass der Borkenkäfer unsere Gegend zum „Land der toten Fichten“ gefressen hat. Wie sollte man aus Ihrer Sicht mit dem Totholz umgehen?

 

GK: Wenn riesige Flächen nach Stürmen, oder aktuell während der Borkenkäferkalamität, von sämtlichem Holz geräumt werden, entsteht ein steppenähnliches Kleinklima mit 40°C Hitze und Trockenheit im Sommer sowie stark gefrorenem Boden im Winter, was es der nächsten Waldgeneration schwer macht. Belässt man dagegen die abgestorbenen Bäume – deren Holz meist ohnehin am Markt kaum noch etwas wert ist – im Wald, können sie die Startbedingungen für den neuen Wald verbessern.

 

 

KT: Inwiefern?

 

GK: Erstens, weil das stehende Totholz den Waldboden beschattet und vor Wind schützt. Das hilft beides, den Boden feucht genug zu halten, dass neue Bäume leichter nachwachsen können. Zweitens, weil dann keine großen Waldmaschinen den Boden zusammendrücken, denn verdichteter Boden kann die wenigen Sommer-Niederschläge kaum aufnehmen. Und drittens ist Totholz sehr lebendig, denn hier leben zahlreiche Pilze, Käfer und Mikroorganismen, die den Wertstoffkreislauf schließen. Um die biologische Vielfalt zu erhalten, muss daher Totholz in ausreichendem Umfang im Wald verbleiben. Wenn aus Gründen der Verkehrssicherheit die toten Bäume gefällt werden müssen, können sie immer noch als liegendes Totholz dem Wald dienen.

 

 

KT: Wenn das Fichtenholz derzeit ohnehin kaum Gewinne bringt, warum wird es dann dennoch großräumig abgeräumt?

 

GK: Erstens, weil die Deutschen Ordnung lieben. Zweitens weil es eben doch noch ein wenig Gewinn bringt – vor allem, weil es seit 2018 eine staatliche Förderung gibt, die den Forstwirten einen Festpreis pro Festmeter Schadholz garantiert. Mit diesen Steuergeldern unterstützen wir eine schädliche Forstwirtschaft. Sinnvoller wäre es, die Forstwirte pro Hektar Waldfläche zu unterstützen und daran Klima- und Naturschutzauflagen zu knüpfen. Ein dritter und Ernst zu nehmender Grund ist, dass es unter dem lange stehenden Totholz für Waldarbeiter immer gefährlicher wird, Neuanpflanzungen vorzunehmen, da Bäume umstürzen können.

 

 

 

KT: Sollten wir eher auf natürliche Verjüngung setzen oder wieder aufforsten?

 

GK: Beides. Natürliche Verjüngung hat zwar Vorrang. Denn junge Bäume, die aus Samen an Ort und Stelle keimen, entwickeln ein üppigeres Wurzelwerk als gepflanzte, und sind daher langfristig stabiler gegen Stürme und Dürren. Aber ohne Anpflanzungen werden wir nicht auskommen. Denn die vom Borkenkäfer befallenen Flächen sind oftmals derart groß, dass der natürliche Waldaufbau mit Birke oder Aspe sehr lange dauern kann, wenn kaum Samen dazu in der Nähe vorhanden sind. Mit Anpflanzungen können wir den Waldumbau zum Mischwald beschleunigen. Dann sollten aber stets nur kleine "Trupps" als Initialzündung gepflanzt werden und nicht ganze Flächen, wie das noch üblich ist.

 

 

 

KT: Mit welchen Baumarten sollte denn aus Ihrer Sicht aufgeforstet werden?

 

GK: Dürren hat es schon immer mal bei uns gegeben. Auch wenn beispielsweise unsere Buchen und Eichen leiden, kann man doch davon ausgehen, dass sie angepasst genug sind, solche Phasen zu überstehen. Von ursprünglich nicht einheimischen Baumarten weiß man viel zu wenig, um auf sie zu setzen. Nichts desto trotz ist eine kleine Beimischung, beispielsweise von Douglasien durchaus sinnvoll. Tatsächlich wissen wir derzeit alle nicht, welche Bäume sich in 100 Jahren bei zunehmendem Klimawandel bei uns klimatisch wohl fühlen werden.

 

 

 

KT: Viele nicht heimische Arten werden angepflanzt, weil sie hier keine Schädlinge haben…

 

GK: Das kann sich ändern. Die Schädlinge und mit ihnen das Schadholz werden noch kommen. Ein großflächiger Anbau einer einzigen Baumart ist immer falsch.

 

 

 

KT: Gibt es auch Arten, die Sie kritisch sehen?

 

GK: Ja, die Küstentanne zum Beispiel. Sie wächst sehr schnell, so dass Waldbesitzer sie zunehmend als Alternative zum Brotbaum Fichte pflanzen. Doch da sie nicht nur schnell wächst, sondern auch sehr schattentolerant ist und wenig unter Wildverbiss leidet, breitet sie sich invasiv aus und verdrängt die heimischen Baumarten. Sie sollte aus meiner Sicht gar nicht gepflanzt werden.

 

 

 

KT: Wie sollte Holz entnommen werden, um den Boden zu schonen?

 

GK: Naturschutzverbände setzen stark auf Pferderücken und die Kombination aus Motorsäge und Seilwinde – das ist sinnvoll. Realistisch glaube ich jedoch, dass der Harvester nicht mehr wegzudenken ist. Aber derzeit fahren diese Großmaschinen alle 20 Meter in den Wald hinein und verdichten dort jeweils vier Meter Waldboden. Der lässt sich wie ein Schwamm zusammendrücken, aber im Unterschied zum Schwamm bläht er sich danach nicht wieder zu seiner ursprünglichen Form auf, sondern verliert langfristig seine Wasserspeicher-Fähigkeit. Deshalb bin ich dafür, Rückegassen für Harvester nur noch alle 40 Meter zu erlauben und mit der Motorsäge zu unterstützen. Diese weniger bodenschädigende Methode ist teurer und dazu brauchen Waldbauern staatliche Unterstützung.

 

KT: Welche Rolle spielt der Wald in der Klimadiskussion?

 

GK: Der Wald hat eine Schlüsselrolle: Einerseits leidet er stark, wie die zahlreichen abgestorbenen Bäume überall zeigen, andererseits kann er durch die Speicherung von Kohlendioxid und Feuchtigkeit einen wichtigen Beitrag zur Abmilderung des Klimawandels leisten – wenn wir ihn rechtzeitig schützen.

 

 

KT: Wie sieht in Ihren Augen ein naturnaher Wald aus, mit möglichst positiven Wirkungen auf Klima und Biodiversität?

 

GK: Bunt gemischt und vielfältig strukturiert! In einem gemischten Wald verteilt sich das Risiko von Krankheiten, Windwurf, Dürren, etc. Das heißt, wenn eine Baumart beispielsweise durch einen Insektenangriff ausfällt, können andere ihren Platz einnehmen. Ein Wald aus Bäumen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Höhen ist zudem stabiler gegen Stürme und weniger anfällig gegen Dürren. In Zeiten des Klimawandels ist es wichtig, auf vielen Beinen zu stehen.

 

 

KT: Holznutzung kann aus Klimaschutzsicht durchaus sinnvoll sein. Vor allem als Baustoff, da das im Holz gebundene CO2 dadurch langfristig aus der Atmosphäre entfernt bleibt, und auch, weil Holz klimaschädlichen Beton ersetzen kann.

 

GK: Holznutzung kann sinnvoll sein, ja. Doch in Realität geht Holz derzeit in die Papierindustrie und wird zu Kartons, die nur einmal benutzt werden. Wir müssen Holz in langlebigen Produkten verwenden. Dann können wir uns auch mehr naturnahe Wälder leisten.

 

 

KT: Was halten Sie von der energetischen Holznutzung als Hackschnitzel, Pellets und Scheitholz? Schließlich müssen wir auch klimaschädliches Heizöl und Erdgas ersetzen.

 

GK: Bei der Verbrennung von Holz entsteht CO2, das das Klima global erwärmt. Zwar haben die Bäume dieses freiwerdende CO2 kurz vorher aus der Luft gebunden, so dass es im Unterschied zur Verbrennung von Millionen Jahre altem Heizöl und Erdgas ein Nullsummenspiel ist. Aber durch stoffliche Holznutzung ist dem Klima deutlich mehr geholfen, da das CO2 gebunden bleibt. Beim Ersatz von Heizöl und Erdgas würde ich daher eher auf Solarthermie oder Erdwärme setzen.

 

 

KT: Was halten Sie davon, wenn Forstwirte sich ein Standbein als Energiewirte aufbauen und auf ohnehin derzeit abgestorbenen Waldflächen Photovoltaik- und Windkraftanlagen errichten, um einen Beitrag zur Energiewende zu leisten?

 

GK: Ja, wir brauchen die Windkraft für die Energiewende. Wir brauchen teils auch Windkraft im Wald – da bieten sich Kalamitätsflächen an windreichen Hügelstandorten sicherlich an. Doch für Windkraftstandorte sollte kein intakter Wald gerodet werden. Ich plädiere dafür, dass in intakten Waldgebieten, Biosphärenreservaten, FFH-Gebieten oder Nationalparks keine Windkraftanlagen errichtet werden. Bisher windkraftfeie große intakte Waldgebiete sollten windkraftfrei bleiben. Auch in Wald-Erholungsgebieten würde ich wegen der Schallemissionen Windkraft ausschließen wollen.

 

 

KT: Wenn Bäume wachsen, nehmen sie durch ihre Photosynthese CO2 aus der Luft auf. In großem Stil Waldflächen auszudehnen, kann deshalb den Klimawandel abmildern. Wo könnten in Deutschland die Flächen dazu herkommen?

 

GK: Dazu müsste unsere Landwirtschaft weniger auf die Produktion von Tierfutter und Energiepflanzen ausgerichtet sein. Wenn wir weniger Fleisch essen und weniger Biomasse verheizen, stehen in Deutschland potenziell große bisherige Acker- und Grünlandflächen für die Aufforstung zur Verfügung. Diese könnten einen wichtigen Beitrag zur Kohlenstoffspeicherung und zur Stabilisierung des globalen und lokalen Klimas leisten. Dabei sollten aber keine Plantagen aus schnell wachsenden Baumarten gefördert werden, sondern nur wirkliche Mischwälder, überwiegend aus einheimischen Laubbaumarten.

 

 

KT: Apropos Landwirtschaft – die setzt massiv Schädlingsbekämpfungsmittel ein, die Insekten und Bienen mit abtöten. Wie sieht es im Forst aus – werden dort auch Pestizide gespritzt?

 

GK: Jahrzehnte lang wurde im Wald im Gegensatz zur Landwirtschaft praktisch kein Gift eingesetzt. Das hat sich in den letzten drei Jahren drastisch geändert. Um der Borkenkäferplage Herr zu werden, wurden in großem Umfang Pestizide eingesetzt, die auch alle anderen Insekten töten, die mit ihnen Kontakt haben. Damit wurde die Hauptursache für das Insektensterben in der offenen Landschaft nun auch in den Wald getragen.

 

 

KT: Hilft die Jagd bei der Waldverjüngung?

 

GK: Je mehr Wild im Wald lebt, desto größer der Verbiss und desto schwieriger ist die natürliche Verjüngung des Waldes. Dass sich das Wild so stark vermehrt, liegt teils an den milden Wintern, teils an dem Futterangebot der landwirtschaftlichen Äcker und privaten Gärten, teils auch an künstlicher Fütterung des Wildes durch Jäger – was im Prinzip verboten werden müsste. Wenn sich Luchs und Wolf wieder bei uns ausbreiten, besteht die Hoffnung, dass dies insgesamt der Waldverjüngung zu Gute kommen kann. Meine Meinungsbildung bzgl. intensiver Bejagung durch den Menschen ist auch noch nicht komplett abgeschlossen – da es eine wichtige ethische Frage ist, ob wir Tiere dafür töten dürfen. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass die ganz intensive Bejagung in einigen Forstbetrieben dazu geführt hat, dass der Wildverbiss so stark vermindert ist, dass der Wald sich erholen kann. Alternative Methoden zum Schutz vor Verbiss sind Wuchshüllen oder Gatter, also Umzäunungen.

 

 

KT: Was könnten wir als Klima-Treff für den Wald tun?

 

GK: Etwa die Hälfte des deutschen Waldes befindet sich im öffentlichen Besitz, gehört also den Bürgern. Fragt doch mal bei euren Forstämtern nach, ob ihr bei der nächsten 10-jährigen Wirtschaftsplanung des Forstbetriebs mitwirken könnt. Dabei könnt ihr euch für eine naturnahe Bewirtschaftung einsetzen. In den Fichten-Freiflächen könntet ihr in Absprache mit den Förstern im Herbst Bucheckern oder Eicheln mit Stöckchen einige Zentimeter tief in den Boden drücken, um sie vor Wildschweinen und Mäusen besser zu schützen, und so die natürliche Verjüngung beschleunigen. Spannend sind auch Projekte zur Wildlingswerbung – dabei stecht ihr kleine Buchen-Setzlinge vorsichtig aus und pflanzt sie in Trupps in den Fichten-Freiflächen wieder ein. Um die kleinen Setzlinge vor Verbiss zu schützen, könntet ihr Wuchshüllen setzen oder die Terminalknospen jedes Jahr mit Schafwolle umwickeln. Viel Spaß dabei!

 

Mehr von Gerald Klamer unter: https://waldbegeisterung.blogspot.com/

 

Die Gruppe „Wald mit Zukunft“ führt derzeit einen Dialog mit privaten Waldbesitzern, dem Staatsforst und Naturschutzverbänden, um besser zu verstehen, wie wir unseren Identität stiftenden Wald auch bei zunehmender Hitze und Dürre bewahren können. Wer in der Gruppe mitarbeiten möchte, kann sich gerne unter dialog@klimatreff.info melden.